DRAUßEN portraitiert vier Obdachlose, die in Köln auf der Straße leben. Ausgehend von persönlichen Gegenständen, die aufgeladen sind mit Erinnerungen und Emotionen, öffnet der Film das Tor zu einer Welt, die sonst verschlossen bleibt. Der Film regt nicht nur zu einem Perspektivwechsel an, sondern zeigt vier Obdachlose, die sich ihren Stolz und ihre Würde erhalten haben. Kinostart ist der 30. August 2018. Wir haben ein Interview mit Johanna Sunder-Plassmann geführt, die eine der beiden Filmemacherinnen ist.

Interview mit der Filmemacherin Johanna Sunder-Plassmann

Welche Motivation hattet ihr, um den Film „draußen“ zu machen?
Das Konzept für den Film hat sich aus unseren vorherigen Projekte ergeben: Tama Tobias-Macht hat sich in früheren Filmen mit den Begriffen Heimat und Heim auseinandergesetzt: Also was sagen Räume – und wie man sie einrichtet – aus? Tamas letzter Film handelte zum Beispiel von einer 2000 Quadratmeter großen Villa, die nur von zwei Kunstsammlerinnen bewohnt war. Sie kam mit der Idee zu mir, jetzt einen Film über Menschen zu machen, die überhaupt keinen Raum für sich haben. Wie richtet man sich in so einer Situation ein, was ist der Alltag und wie fühlt man sich “zu Hause”?
Ich dagegen hatte vorher einem Film über die Bedeutung von Alltagsgegenständen gemacht mit der Frage, was diese über ihren Besitzer und gleichzeitig über die Gesellschaft aussagen können. So kam das Konzept zustande, obdachlose Menschen nach ihren persönlichen Gegenständen zu fragen. Das war also ein ziemlich verkopfter Ansatz, aber so sind wir in das Projekt gestartet.

Filmemacherinnen Tama Tobias-Macht (links) und Johanna Sunder-Plassmann.

Wie habt ihr euch dem Thema angenähert? Habt ihr mit obdachlosen Menschen vorher länger gesprochen oder zusammen mit ihnen gelebt?
Wir haben uns an die Kölner Anlaufstellen für obdachlose Menschen gewandt und zuerst die dortigen Mitarbeiter von unserem Filmvorhaben überzeugen können. Diese haben uns dann mit unterschiedlichen Leuten aus dem Milieu bekannt gemacht. Wir haben sehr viel Zeit an diesen Orten verbracht und einfach Kaffee getrunken und Gespräche geführt. Mehr als ein Jahr lang waren wir ohne Kamera unterwegs und haben mit sehr viel Unterstützung das Wissen über unser Thema bekommen, das wir brauchten, um den Film darüber machen zu können.

Was hat euch bei diesen Begegnungen am meisten berührt?
Wir können sagen, dass uns jedes Gespräch sehr berührt hat. Die Geschichten der Menschen sind sehr unterschiedlich und oft sehr hart zu hören. Mich hat die Menschlichkeit und Solidarität überrascht, die in den Anlaufstellen herrschte, obwohl sehr viel Elend zu sehen war. Mich haben auch bestimmte Fakten überrascht: Man muss zum Beispiel unglaublich fleißig sein, wenn man auf der Straße lebt, denn jeden Tag an ein bisschen Geld zu kommen, sich mit dem Nötigsten zu versorgen, durch die Stadt zu kommen ohne Geld für Tickets und sich jeden Tag um einen einigermaßen sicheren Schlafplatz zu kümmern, ist mit einem wahnsinnigen Organisationsaufwand verbunden. Auch, dass allem voran das große Problem der Schlafmangel ist, und nicht etwa die Kälte oder Hunger. Das wusste ich vorher nicht.

Gibt es etwas, das alle eure Protagonisten verbindet?
Sie sind alle sehr strukturiert und gut organisiert, das haben wir aber fast bei allen bemerkt, die wir kennen gelernt haben. Sie waren fest entschlossen, Teil des Films zu sein, was uns besonders wichtig war. Zudem sind sie unterschiedlich alt, haben aber etwas in ihrem Charakter, das uns sehr berührt hat: Etwas sehr Hartes und Abgeklärtes und gleichzeitig etwas Sensibles, Zartes und Verletzliches.

Wie war die Stimmung beim Dreh? Gab es Höhepunkte / Tiefpunkte? Wie seid ihr damit umgegangen?
Wir haben mit jedem Protagonisten ca. fünf intensive Drehtage verbracht. Dabei sind wir uns gegenseitig sehr nahe gekommen, es herrschte ein tiefes Vertrauen. Sie haben sich uns geöffnet, was schön war aber uns und unser Team oft emotional aufgewühlt hat, denn die Dinge, die sie zu erzählen haben sind teilweise sehr hart und traurig. Insgesamt war die Stimmung aber trotz Regen, Eiseskälte und langer Arbeit sehr gut. Unsere vier Darsteller haben uns nachher gesagt, dass sie diese Zeit in sehr guter und intensiver Erinnerung haben.
Wir hatten außerdem das Glück, mit einem wahnsinnig tollen Dreh-Team zu arbeiten. Allem voran hat die bekannte Kamerafrau Sophie Maintigneux (jetzt Prorektorin an der Kunsthochschule für Medien in Köln) mit uns gearbeitet. Das war eine große Ehre und ein Glück für den Film.

Wie sehr konntet ihr euch als Filmemacherinnen selbst in ein Leben auf der Straße hineinversetzen? Ist dies hilfreich, um solch einen Dokumentarfilm zu machen?
Wir haben sehr viel Zeit auf der Straße und auf den “Platten” verbracht. Deshalb haben wir einen Eindruck davon, wie es ist auf der Straße zu leben und wir haben uns für den Film so tief wie möglich in die Situation eingefühlt. Wir wären aber nicht so vermessen zu sagen, dass wir jetzt genau wissen, wie es ist obdachlos zu sein. Ich glaube das kann nur jemand, der es am eigenen Leib erfahren hat.

Wie hat der Film euch / eure Beziehung zueinander verändert?
Ich denke durch den Film gehen wir beide jetzt mit einem anderen Blick durch die Stadt. Wir sehen jetzt die Parallelwelt und das Problem der Obdachlosigkeit viel deutlicher und nehmen die betroffenen Menschen stärker wahr. Wir fragen uns natürlich jetzt bei jedem Einzelnen, was das für eine Persönlichkeit ist und welche Geschichten dahinter steckt.

Wie wichtig sind euch die Reaktionen des Publikums / der Experten / der Obdachlosen auf euren Dokumentarfilm?
Wenn wir mit dem Film beim Publikum mit dem Film erreichen können, dass die einseitige Perspektive auf Obdachlose ins Wanken gekommen ist, dass man nach dem Film diese Menschen neugierig betrachtet und sie wahrnimmt, dann ist unser Ziel als Filmemacherinnen erreicht. Vielleicht können wir auch dazu beitragen, das die Stimme dieser sozial schwachen Gruppe gestärkt wird. Und dass der Film von Organisationen für gute Zwecke genutzt wird.
Von den Experten und den Obdachlosen hat der Film tolles Feedback bekommen. Viele haben gesagt, dass die Machart von “Draußen” ganz anders ist, als was sie bisher an Filmen/Reportagen über das Thema kannten. Ein Mitarbeiter der Kölner “Oase”, der uns bei der Recherche sehr geholfen hat, hat uns gesagt, der Film hätte ihm noch einmal „auf besondere Weise das Herz für sein Klientel geöffnet“. Das war uns besonders wichtig und hat uns total gefreut. Alles andere wäre wirklich schlimm für uns gewesen.

Was soll von „draußen“ in zehn Jahren bleiben? Wie nachhaltig ist so ein Film?
Der Film läuft jetzt erstmal im Kino, dann nächstes Jahr im Fernsehen auf arte. Wir hoffen, dass viele Menschen den Film sehen. Danach ist er auf DVD erhältlich. Wir können uns vorstellen, dass er durch gemeinnützige Organisationen, die mit dem Thema zu tun haben, immer wieder gezeigt werden wird. Auch ist er Teil eines Schulfilmprogramms. Das heißt, dass Lehrer unterschiedlicher Fächer anhand des Films Unterrichtsmaterial erstellt haben und mit den Schüler den Film im Unterricht nutzen. Wir hoffen, dass die Geschichten von Peter, Sergio, Matze und Elvis auch in zehn Jahren die Menschen noch berühren, denn eigentlich sind sie zeitlos.

© Interview: Nikolas Migut | Ein Film von Tama Tobias-Macht & Johanna Sunder-Plassmann | Fotos: Thekla Ehling | REALFICTIONFILM – eine Produktion der unafilm GmbH in Koproduktion mit dem WDR in Zusammenarbeit mit ARTE gefördert durch Film- und Medienstiftung NRW